Autogenes Training bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Es gibt sehr überzeugende Beweise, dass Entspannungsübungen mehr sind als nur ein netter Zeitvertreib oder eine
Marotte esoterisch angeknackster „Spinner“. Entspannungsübungen haben offenbar einen sehr tiefgreifenden Effekt auf
das physiologische Geschehen in unserem Organismus. Das würde bedeuten, dass eine praktizierte Entspannungsübung
einen medikamentösen oder medikamentenartigen Effekt auf den Organismus ausübt.
Im Folgenden möchte ich daher der Frage nachgehen, ob sich dies auch für das Autogene Training nachweisen lässt.
Wenn ja, welches Ausmaß dieser Einfluss auf die Physis der Anwender hat. Wie es aussieht, gibt es zu einer Reihe
von medizinischen Indikationen bereits entsprechende und sogar neuere Untersuchungen für das Autogene Training. In
diesem Beitrag möchte ich mich daher auf die Herz-Kreislauf-Erkrankungen beschränken, die ganz weit oben auf der
Liste der Ursachen für Todesfälle stehen.
Im Jahr 1997 wurde eine Arbeit veröffentlicht, die Patienten mit und ohne Autogenem Training beobachtete, die
sich einer Bypassoperation hatten unterziehen müssen.
Rakov AL, Mandrykin IuV, Zamotaev IuN.
The results of autogenic training in patients with ischemic heart disease after an aortocoronary
bypass operation
in: Voen Med Zh. 1997 Feb;318(2):37-41, 79.
Insgesamt nahmen 115 Patienten an der Studie teil, 70 Patienten mit und 45 ohne Autogenes Training. Zudem wurde der
psychische Zustand der Patienten untersucht. Alle Patienten zeigten eine mehr oder weniger stark ausgeprägte
psychologische Fehladaptation, die sich in hypochondrischen und asthenoneurotischen Reaktionen äußerte.
Ein spezieller Fragebogen (Spielbergers psychometrische Skala) erfasste die emotionalen Spannungen, die zudem
von anderen Parametern bestätigt werden konnten. Das waren die Messungen von Peroxid-Oxidation von Lipiden und eine
mathematische Analyse des Herzrhythmus.
Leider gibt es keine Angabe zur Dauer der Studie beziehungsweise des Autogenem Trainings während dieser Zeit.
Aber die Autoren berichten, dass die AT-Gruppe eine Verbesserung der klinischen Parameter zu verzeichnen hatte.
Gleichzeitig gab es auch Verbesserungen in psychologischen Bereich.
Fazit:
Diese Studie gibt erste Hinweise, dass das Autogene Training psychologische und damit verbunden physiologische
Probleme positiv beeinflussen kann. Die physiologische Beeinflussung scheint sogar so weit zu reichen, dass
elementare Prozesse, wie zum Beispiel die Aktivität freier Radikale, modifiziert werden können.
Meta-Analysen sind nicht der „wahre Jakob“ unter den Studien. Sie sind immer mit einigem Vorbehalt zu
„genießen“.
Denn eine selektierende Auswahl an Arbeiten kann und wird in der Regel das Ergebnis liefern, was der Autor sich
wünscht. Und es ist nicht leicht, ein solches selektives Vorgehen zu erkennen und auszuschließen.
Eine weitere Meta-Analyse aus dem Jahr 2002 untersuchte die Frage, welche klinische Effektivität das Autogene
Training überhaupt hat. Dazu wurde nach bereits existierenden Arbeiten gefahndet. Die Autoren fanden 60 Arbeiten,
davon 35 randomisierte klinische Studien, die sie für geeignet erachteten, Aussagen über die klinische Wirksamkeit
von Autogenem Training machen zu können.
Es zeigte sich bei der Analyse, dass das Autogene Training bei den klinischen Studien einen mittelmäßigen bis
hohen Effekt ausgeübt hatte. Bei unspezifischen Effekten, zum Beispiel den Einfluss auf das Gemüt, kognitive
Fähigkeiten, Lebensqualität und so weiter, zeigte das Autogene Training sogar noch bessere Wirksamkeit.
Eine spezielle, zusätzliche Meta-Analyse (der Meta-Analyse) für verschiedene Erkrankungen zeigte bei den
Studien, die mit einer Kontrollgruppe gearbeitet hatten, positive Effekte bei der koronaren Herzkrankheit und
leichtem bis mittelschwerem Bluthochdruck. Andere Erkrankungen mit positivem Effekt waren Migräne,
Spannungskopfschmerzen, Asthma bronchiale, Schmerzen, Raynaud Syndrom, Erregungszustände, Depressionen und
funktionelle Schlafstörungen.
Fazit
Um es ganz genau zu nehmen, würde mich alleine eine Meta-Studie nicht von den Vorzügen des Autogenen Trainings
überzeugen. Auch die Tatsache, dass eine Unterauswertung gemacht wurde, ist kein „Zusatzargument“ für das Autogene
Training. Die Arbeit gibt bestenfalls einen Überblick über die bislang geleistete Arbeit in diesem Bereich und
lässt einen Einblick zu, wie das Autogene Training bei Studien abschneidet. Sie ist eine Art „Fingerzeig“, der eine
positive Wirkung bei bestimmten Erkrankungen vermuten lässt, aber nicht beweist.
2004 wurde diese Arbeit veröffentlicht:
Kanji N1, White AR, Ernst E.: Complementary Medicine, Peninsula medical School, Universities of Exeter and
Plymouth, Exeter, United Kingdom.
Autogenic training reduces anxiety after coronary angioplasty: a randomized clinical
trial
in: Am Heart J. 2004 Mar;147(3):E10.
Angioplastie ist ein invasives Verfahren, um verstopfte Arterien (seltener Venen) mit Hilfe eines Katheters wieder
zu öffnen. In diesem Fall handelt es sich um die Herzkranzgefäße, die auf diese Weise behandelt wurden. In dieser
Studie wurden 59 Patienten in Verum- und Kontrollgruppe aufgeteilt und über 5 Monate beobachtet, ob das Autogene
Training in der Lage war, Unruhe- und Angstzustände bei den behandelten Patienten zu verringern. Das Hauptziel der
Arbeit war die Messung und Beurteilung von Angstzuständen nach 2 Monaten nach dem Eingriff. Die qualitativen
Informationen dazu wurden durch Interviews mit den Patienten erhoben.
Resultat: Die Angst- und Unruhezustände zeigten nach 2 und 5 Monaten einen signifikanten Unterschied in beiden
Gruppen zugunsten des Autogenen Trainings. Diese Befunde wurden zusätzlich unterstützt durch weitere Beobachtungen
bezüglich der Lebensqualität, zum Beispiel, die sich ebenfalls in der Verumgruppe als deutlich höher erwies.
Allerdings schränkten die Autoren ein, dass die beobachteten positiven Effekte nicht notwendigerweise dem
Autogenen Training zuzuschreiben sein könnten, sondern dass hier möglicherweise unspezifische Effekte dazu
beigetragen hätten. Trotzdem schließen sie, dass das Autogene Training eine positive Rolle bei der Reduzierung von
Angst- und Unruhezuständen bei Patienten mit koronarer Angioplastie zu haben scheint.
Fazit
Ich denke hier, dass die Autoren tendenziell zu vorsichtig mit ihren Interpretationen sind. Denn wenn nicht das
Autogene Training für die positiven Wirkungen verantwortlich ist, sondern unspezifische Effekte, dann erhebt sich
die Frage, warum die Unterschiede zur Kontrollgruppe so signifikant ausgefallen sind. Bei unspezifischen Effekten
würde man keinen Unterschied zur Plazebogruppe erwarten. Was sich aus dieser Arbeit nicht ableiten lässt, ist die
Frage, über welche Mechanismen der beobachtete positive Effekt zustande gekommen ist. Er steht aber mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem Zusammenhang mit dem Autogenen Training.
Miu AC1, Heilman RM, Miclea M.: Program of Cognitive Neuroscience, Department of Psychology, Babes-Bolyai
University, Cluj-Napoca, CJ 400015, Romania. andrei_miu@emcoglab.org
Reduced heart rate variability and vagal tone in anxiety: trait versus state, and the effects of
autogenic training
in: Auton Neurosci. 2009 Jan 28;145(1-2):99-103. doi: 10.1016/j.autneu.2008.11.010. Epub 2008 Dec 6.
Diese Arbeit von 2009 untersuchte den Einfluss des Autogenen Trainings auf das parasympathische Nervensystem.
Hierzu wurden körperlich gesunde Freiwillige mit ausgeprägten, lang anhaltenden Unruhe- und Angstzuständen
ausgesucht. Diese Teilnehmer wurden in der Folge mit Autogenem Training behandelt. Als Parameter für den Einfluss
des parasympathischen Nervensystems wurde die Herzfrequenzvariabilität bestimmt.
Je höher diese ausfällt, umso besser steht es mit der Herzgesundheit. Zum Einsatz dafür kamen EKG, Bestimmung
der Herzfrequenz und Hoch- und Niedrigfrequenz und deren Ratio. Die Messungen wurden während Stresssituationen und
Übungen mit Autogenem Training gemacht. Zusätzlich wurden Atemfrequenz und die Leitfähigkeit der Haut gemessen.
Das wichtigste Ergebnis der Messung war, dass hohe Unruhe- und Angstzustände mit einem reduzierten R-R-Intervall
im EKG verbunden waren, was mit einiger Wahrscheinlichkeit mit einer „chronisch erhöhten“ Herzfrequenz in diesen
Situationen zusammenhängt. Im Vergleich zur mentalen Stresssituation erhöhte Autogenes Training die
Herzfrequenzvariabilität und stützte die parasympathische (vagale) Steuerung des Herzens.
Schlussfolgerung der Autoren: Eine reduzierte Herzfrequenzvariabilität ist ein wichtiger Risikofaktor bei
Unruhe- und Angstzuständen für die Ausbildung von kardialen Schäden und Problemen. Diese Schäden treten mit hoher
Wahrscheinlichkeit als Langzeitkonsequenz dieser vegetativ-autonomen Dysfunktion auf.
Fazit
Stresszustände, besonders aber Dauerstress, wie er auch oft beim Burn-out-Syndrom zu beobachten ist und hier bei
permanenten Unruhe- und Angstzuständen, ist verbunden mit einer signifikanten Abnahme der Herzfrequenzvariabilität.
Dies ist mit bedingt durch eine hohe Konzentration an Katecholaminen im Blut, die die Herzfrequenz hochtreiben. Der
Effekt ist vergleichbar mit einem Motor, der permanent auf Hochtouren läuft. Seine Lebensdauer ist nur sehr
begrenzt. Für das Herz gilt das Gleiche. Schädigungen sind hier schon vorprogrammiert.
Bedingt dadurch kann der Vagus keinen entscheidenden Einfluss auf die Herzfrequenz ausüben. Im Gegensatz zur
Atmung, deren Frequenz wir zeitlich beschränkt willentlich verlangsamen oder erhöhen können, ist dies bei der
Herzfrequenz nicht der Fall. Der Vagus verursacht eine Senkung und damit Ökonomisierung der Herzarbeit. Besonders
stark ausgeprägt ist er während des Schlafs, der Phase, die auch für die Regeneration des Herzens besonders wichtig
ist.
Ist diese Regenerationsphase dauerhaft verkürzt, dann ist das kardiale Risiko erhöht. Autogenes Training scheint
hier in der Lage zu sein, den Einfluss des Vagus auf das Herz zu fördern und zu stärken, was die
Regenerationsleistung des Herzens erhöhen und somit das kardiale Risiko mindern würde. Das klingt noch etwas
hypothetisch, aber nicht unlogisch. Hier bräuchten wir große epidemiologische Untersuchungen, die solche Annahmen
unterstützen könnten.
Fazit zum Thema „Autogenes Training bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen“
Autogenes Training scheint ein gutes „Präparat“ gegen Stress zu sein, da es sehr effektiv die damit verbundenen
kardiovaskulären Konsequenzen kupiert. Dieser protektive Effekt erfolgt nicht nur über eine äußerliche „Beruhigung“
des Übenden, sondern scheint auch tiefgreifende physiologische Reaktionen auszulösen, wie zum Beispiel die
Reduzierung von oxidativem Stress, Verstärkung des parasympathischen Nervensystems beziehungsweise des vagalen
Einflusses auf das Herz, Senkung der Herzfrequenz, Erhöhung der Herzfrequenzvariabilität und so weiter.
Damit lässt sich schließen, dass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Autogenes Training ein gutes Mittel zur
Prophylaxe und begleitenden Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.
Dieser Artikel wurde am 29.4.2019 erstellt.
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