Das Autogene Training
 

Das Autogene Training - Wirkungsweise

Im Vergleich zu Meditation, Tai-Chi und Qi-gong ist das Autogene Training eine junge Disziplin unter den Entspannungsübungen. Seine Wurzeln hat dieses System in der Hypnose und deren wissenschaftlichen Erforschung. Das Autogene Training sieht sich als ein „übendes Verfahren zur konzentrativen Selbstentspannung“.

Und wie es das Wort „Übung“ vermuten lässt, ist hier die aktive Teilnahme des Patienten gefragt – ein fundamentaler Gegensatz zum einfachen schulmedizinischen „Pillenschlucken“. Diese Teilnahme ist gleichzeitig eine „erzieherische“ Maßnahme, eine Anleitung zur Selbstverantwortung der eigenen Gesundheit gegenüber.

Darum ist Autogenes Training geeignet zur Prävention, Psycho-Hygiene und als unterstützende Maßnahme bei der Behandlung in der Psychosomatik, Psychotherapie und Rehabilitation.

Eine kurze Einleitung zum Autogenen Training nach Schultz können Sie hier einsehen: Das Autogene Training nach J. H. Schultz: Wie wird es angewandt? In Wikipedia gibt es eine etwas ausführlichere Übersicht: Autogenes Training.

Der Entwickler des Autogenen Trainings, Johannes Heinrich Schultz, schuf den Begriff des „Konzentrativen“. Hierbei handelt es sich um das Phänomen der Selbstentspannung, was im Gegensatz steht zu Entspannungsreaktionen, die auf Fremdsuggestion beruhen. Für den positiven Einfluss auf den Organismus mag es gleichgültig sein, woher die Entspannungsreaktion rührt.

Das Autogene Training hat es sich zur Aufgabe gesetzt, dass der Übende auf die Dauer sich selbst durch die Übungen diese Entspannungsreaktion bescheren kann, ohne dabei auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Und um dies zu gewährleisten, braucht der Übende diese konzentrative Vorgehensweise.

„Konzentrativ“ unterscheidet sich von „konzentriert“ durch den „Anspannungsfaktor“. Während man bei einer „Konzentration“ in einen geistig-seelischen Spannungszustand gerät, was dem gewünschten Ergebnis gegenläufig ist, handelt es sich bei einer „konzentrativen“ Übung um etwas ganz anderes. Hier übt man mit einer passiv-diffusen Wahrnehmungshaltung, bei der die Vorstellung von Gefühlen und Umwelteinflüssen nur vage, unkonkret sind. Die zu erwartende Ruhe wird hier also nicht erzwungen.

Man lässt los, akzeptiert das Jetzt, anstatt es zu verändern und sich aufzureiben. Eine vergleichbare intuitive Technik gibt es auch beim Qi-gong, wo die Vorstellung, was im Körper passiert, wie der Qi-Fluss sich durch die Übung verändert, nur andeutungsweise und vage „erahnt“ werden darf, um Zwänge und Blockaden zu vermeiden. Hier wird dieser Vorgang „die Kraft der vagen Vorstellung“ genannt.

Wirkungsweise

In diesem Fall betrachten wir nicht den Einfluss der Entspannungsreaktion auf den Organismus, sondern den Schritt zuvor. Das heißt, es geht um die Prozesse, die zu einer Entspannungsreaktion führen, die dann die positiven organischen Konsequenzen zeitigt. Laut Autogenem Training treten Veränderungen in einer Reihe von Bereichen auf. Dies sind:

  • Im Bewusstsein: Eine rasch eintretende Bewusstseinssenkung und Wahrnehmungseinengung
  • Bei der Motorik: Eine tiefe muskuläre Entspannung
  • Bei den vegetativen Funktionen: Das Umschalten auf einen Ruhetonus bei der Atem- und Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Bauchorgane
  • Bei Emotionen und Affekten: Eine psychische Ruhetönung und Angstabbau
  • Bei den Sinneswahrnehmungen: Eine Reduktion von Schmerzen und Erinnerung des Gedächtnisses
  • Eine erhöhte beziehungsweise verbesserte Suggestibilität

Ich hatte es bereits angedeutet: Autogenes Training und vergleichbare Systeme sind etwas fundamental anderes als „Pillenschlucken“. Beim letzteren verlässt sich der Patient auf die Richtigkeit der verschriebenen Arzneien, schluckt diese und erwartet passiv baldige Genesung. Die Verantwortung für die Gesundheit des Patienten liegt hier nahezu ausschließlich beim behandelnden Arzt.

Der Eigenanteil an dieser Verantwortung wird günstigstenfalls vom Arzt mit meist hoffnungslos sinnlosen Ratschlägen hervorgehoben, wie „geben Sie das Rauchen auf“, „Sie müssen abnehmen“, „treiben Sie mal Sport“ und vieles mehr. Wie viele Patienten sich an diese Ratschläge halten, das ist auch bekannt.

Beim Autogenen Training dagegen geht nichts ohne die nachhaltige Bereitschaft seitens des Patienten. Diese Bereitschaft darf nicht limitiert sein darauf, mit dem Autogenen Training zu beginnen, sondern muss sich auch auf ein ständiges, regelmäßiges Üben erweitern. Einige wenige Male sind zwar besser als nichts, aber schießen komplett am Ziel vorbei. Wenn der Patient einen signifikanten Nutzen von den Übungen haben will, dann muss er in der Lage sein, durch diese Übungen eine Reihe von therapeutischen Zielen zu erreichen. Und dies sind:

  • Erholung und Entspannung
  • Selbstruhigstellung durch Resonanzdämpfung der Affekte, zum Beispiel durch Reduktion von Angst und Unruhe
  • Sensibilisierung der Körperwahrnehmung und Körpersignale
  • Selbstregulation sonst unwillkürlicher Körperfunktionen, zum Beispiel der Atmung, der peripheren Durchblutung, von Herz- und Kreislauffunktionen
  • Steigerung der Leistungsfähigkeit
  • Schmerzbeeinflussung
  • Selbstbestimmung (durch formelhafte Vorsatzbildung)
  • Selbstschau – Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung, die vor allem in der Oberstufe des Autogenen Trainings vermittelt wird

Damit wird auch klar, dass das Erlernen und Praktizieren des Autogenen Trainings auch entsprechende äußere Begleitumstände erfordert. Zu Beginn ist es ratsam, die Anfänger 1 ½ Stunden pro Sitzung in das Autogene Training einzuführen und üben zu lassen. Optimal in Sachen Intensität ist natürlich eine „1-Mann/Frau-Gruppe“, aber Gruppen mit einer Stärke von bis zu 12 bis 15 Teilnehmern sind immer noch akzeptabel. Der Vorteil einer Gruppe besteht zudem in der Möglichkeit der Teilnehmer, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Weitere wichtige Anforderungen und günstige Übungsbedingungen sind folgende:

  • Eine ruhige und geräuscharme Umgebung (zumindest für die ersten „Übungseinheiten“)
  • Ein angenehm temperierter Raum
  • Bequeme Kleidung
  • Geschlossene Augen (aber nicht zwingend)
  • Bequeme Haltung während der Übungen mit geringer Muskelspannung. Hierzu bieten sich im Wesentlichen zwei Haltungen an: 1. Die liegende Position auf dem Rücken; 2. Die „Lehnstuhlhaltung“ (angelehntes Sitzen auf einem bequemen Stuhl); 3. Der Droschkenkutschersitz (spezifische Hockersitzhaltung bei einem Sitz ohne Armlehnen). Hier stehen die Füße gerade ausgerichtet nebeneinander. Die Kniegelenke bilden einen Winkel von 90 Grad und fallen leicht nach außen. Das Rumpfgewicht wird „fallengelassen“ ohne dabei die Brustwirbelsäule zu beugen. Die Unterarme liegen auf den Oberschenkeln.
  • Eine passive, akzeptierende Grundhaltung: Ein zeitweises Ausblenden von Gedanken, wo der Übende seine Gedanken kommen und gehen lässt und nicht zwanghaft unterdrückt. Und: Eine Distanzierung von äußerlichen, körperexternen Wahrnehmungen. Gerade dieser letzte Punkt ist aber ein zu erlernender Bestandteil.

Begonnen wird mit der Grundstufe des Autogenen Trainings. Danach folgt die Mittelstufe und die Oberstufe. Alle drei Stufen vermitteln spezifische Inhalte und bauen aufeinander auf.

Das Autogene Training ist heute fast seit 100 Jahren in der Anwendung. Und wie jedes wirksame medizinische System gibt es auch hier Indikationen und Kontraindikationen. Hier beides in Tabellenform:

Autogenes Training

 Indikationen             Kontraindikationen
  •  Psychovegetative/psychosomatische Erkrankungen
  • Herz-Kreislauf Erkrankungen
  • Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes)
  • Erkrankungen des Bewegungsapparats
  • Erkrankungen des Urogenitalsystems
  • Hauterkrankungen
  • Krebs/ Krebserkrankungen
  • Schmerzen
  • Zahnheilkunde (Schmerzreduktion)
  • Erkrankungen der Atemwege
  •  Endogene Psychosen
  • Ausgeprägte endogene Depressionen
  • Schwere Kern- Zwangsneurosen
  • Psychopathische Persönlichkeits-veränderungen
  • Debilität
  • Kardial dekompensierte Patienten

 

Das Autogene Training gilt auch seitens der Krankenkassen als ein anerkanntes Heilverfahren und kann somit vom Therapeuten abgerechnet werden. Sowohl Einzelbehandlungen, als auch Gruppentherapien sind abrechenbar.

Dieser Beitrag wurde am 5.5.2019 erstellt.